∞Vierter Act
∞Hochgebirg, starke zackige Felsen-Gipfel, eine Wolke zieht herbey, lehnt sich an, senkt sich auf eine vorstehende Platte herab. Sie theilt sichvor 10039 starke ] 2 H starre konj Erich Schmidt (III *)
∞ Faust
∞tritt hervor
10039Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuß,
10040Betret’ ich wohlbedächtig dieser Gipfel Saum,
10041Entlassend meiner Wolke Tragewerk, die mich sanft
10042An klaren Tagen über Land und Meer geführt.
10043Sie löst sich langsam, nicht zerstiebend, von mir ab.
10044Nach Osten strebt die Masse mit geballtem Zug,
10045Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach.
10046Sie theilt sich wandelnd, wogenhaft, veränderlich.
10047Doch will sich’s modeln. Ja! das Auge trügt mich nicht!
–
10048Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich hingestreckt,
10049Zwar riesenhaft, ein göttergleiches Fraungebild,
10050Ich seh’s! Junonen ähnlich, Leda’n, Helenen,
10051Wie majestätisch lieblich mir’s im Auge schwankt.
10052Ach! schon verrückt sich’s! Formlos breit und
aufgethürmt,
10053Ruht es in Osten, fernen Eisgebirgen gleich
10054Und spiegelt blendend flüchtger Tage großen Sinn.
10055Doch mir umschwebt ein zarter lichter Nebelstreif
10056Noch Brust und Stirn, erheiternd, kühl und
schmeichelhaft.
10057Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und höher auf,
10058Fügt sich zusammen. – Täuscht mich ein entzückend Bild,
10059Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut?
10060Des tiefsten Herzens frühste Schätze quollen auf,10060 quollen ] 2 IV H.1
2 H quellen C1 41
C3 41
Q emend Erich Schmidt (I a*)
10061Aurorens Liebe, leichten
Schwung bezeichnet’s mir,
10062Den schnellempfundnen, ersten, kaum verstandnen Blick,
10063Der, festgehalten, überglänzte jeden Schatz.
10064Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form,
10065Löst sich nicht auf, erhebt sich in den Äther hin,
10066Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort.
∞Ein Sieben-Meilenstiefel tappt auf ein Anderer folgt also bald Mephistopheles steigt ab Die Stiefel schreiten eilig weitervor 10067 also bald ] 2 IV H.3 alsobald 2 IV H.2
also bald (etwas undeutlich) 2 IV H.3
alsbald 2 H
(II aa)
∞
Mephistopheles
10068Nun aber sag, was fällt dir ein?
10069Steigst ab in solcher Gräuel Mitten,
10070Im gräßlich gähnenden Gestein?
10071Ich kenn es wohl, doch nicht an dieser Stelle,
10072Denn eigentlich war das der Grund der Hölle.
∞Faust
10073Es fehlt dir nie an närrischen Legenden,
10074Fängst wieder an dergleichen auszuspenden.
∞
Mephistopheles
∞ernsthaft
10075Als Gott der Herr – Ich
weiß auch wohl warum
–
10076Uns, aus der Luft, in tiefste Tiefen bannte,
10077Da, wo centralisch glühend, um und um,
10078Ein ewig Feuer flammend sich durchbrannte,
10079Wir fanden uns bey allzugroßer Hellung,
10080In sehr gedrängter unbequemer Stellung.
10081Die Teufel fingen sämmtlich an zu husten,
10082Von oben und von unten aus zu pusten;
10083Die Hölle schwoll von
Schwefel-Stank und Säure,
10085So daß gar bald der Länder flache Kruste,
10086So dick sie war, zerkrachend bersten mußte.
10087Nun haben wir’s an einem andern
Zipfel,
10088Was ehmals Grund war ist nun Gipfel.
10089Sie gründen auch hierauf die rechten Lehren
10090Das Unterste ins Oberste zu kehren.
10091Denn wir entrannen knechtisch-heißer Gruft,
10092Ins Übermaß der Herrschaft freyer Luft.
10093Ein offenbar Geheimniß wohlverwahrt
10094Und wird nur spät den Völkern offenbart.
∞(Ephes. 6.
12)
∞Faust
10095Gebirgesmasse bleibt mir edel-stumm,
10096Ich frage nicht woher und nicht warum?
10097Als die Natur sich in sich selbst gegründet,
10098Da hat sie rein den Erdball abgeründet.
10099Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut,
10100Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht;
10101Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
10102Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.
10103Da grünts und wächst’s, und
um sich zu erfreuen
10104Bedarf sie nicht der tollen Strudeleyen.
∞
Mephistopheles
10105Das sprecht ihr so! Das scheint euch sonnenklar.
10106Doch weiß es anders der zugegen war.
10107Ich war dabey, als noch da drunten, siedend,
10108Der Abgrund schwoll und strömend Flammen trug,
10109Als Molochs Hammer, Fels an Felsen schmiedend,
10110Gebirges-Trümmer in die Ferne schlug.
10111Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen;
10112Wer giebt Erklärung solcher Schleudermacht?
10113Der Philosoph er weiß es nicht zu fassen,
10114Da liegt der Fels, man muß ihn liegen lassen,
10115Zu Schanden haben wir uns schon gedacht. –
10116Das treu-gemeine Volk allein begreift
10117Und läßt sich im Begriff nicht stören;
10118Ihm ist die Weisheit längst gereift:
10119Ein Wunder ist’s, der Satan kommt zu Ehren.
10120Mein Wandrer hinkt, an seiner Glaubenskrücke,
10121Zum Teufelsstein, zur Teufelsbrücke.
∞Faust
10122Es ist doch auch bemerkenswerth zu achten,
10123Zu sehn wie Teufel die Natur betrachten.
∞
Mephistopheles
10124Was geht michs an! Natur sey wie sie sey!
10125’s ist Ehrenpunct! – der Teufel war dabey.
10126Wir sind die Leute Großes zu
erreichen;
10127Tummult, Gewalt und Unsinn! sieh das Zeichen! –
10128Doch, daß ich endlich ganz verständlich spreche,
10129Gefiel dir nichts an unsrer Oberfläche?
10130Du übersahst, in ungemeßnen Weiten,
10131Die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten;
∞(Matth. 4)
10132Doch, ungenügsam wie du bist,
10133Empfandest du wohl kein Gelüst?
∞
Mephistopheles
10135Das ist bald gethan.
10136Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus,
10137Im Kerne Bürger-Nahrungs-Graus,
10138Krummenge Gäßchen, spitze Giebeln,
10139Beschränkten Markt, Kohl, Rüben, Zwiebeln;
10140Fleischbänke wo die Schmeißen hausen
10141Die fetten Braten anzuschmaußen;
10142Da findest du zu jeder Zeit
10143Gewiß Gestank und Thätigkeit.
10144Dann weite Plätze, breite Straßen,
10145Vornehmen Schein sich anzumaßen;
10146Und endlich, wo kein Thor beschränkt,
10147Vorstädte gränzenlos verlängt.
10148Da freut ich mich an Rollekutschen,
10149Am lärmigen Hin- und Wiederrutschen,
10151Zerstreuter Ameis-Wimmelhaufen.
10152Und, wenn ich führe, wenn ich ritte,
10153Erschien ich immer ihre Mitte
10154Von Hunderttausenden verehrt.
∞Faust
10155Das kann mich nicht zufrieden stellen!
10156Man freut sich daß das Volk sich mehrt,
10157Nach seiner Art behäglich nährt,
10158Sogar sich bildet sich belehrt,
10159Und man erzieht sich nur Rebellen.
∞
Mephistopheles
10160Dann baut ich, grandios, mir selbst bewußt,
10161Am lustigen Ort ein Schloß zur Lust.
10162Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld
10163Zum Garten prächtig umbestellt.
10164Vor grünen Wänden Sammet-Matten,
10165Schnurwege, kunstgerechte Schatten,
10166Cascadensturz, durch Fels zu Fels gepaart,
10167Und Wasserstrahlen aller Art;
10168Ehrwürdig steigt es dort, doch an den Seiten,
10169Da zischt’s und pißts, in tausend Kleinigkeiten.
10170Dann aber ließ ich allerschönsten Frauen,
10171Vertraut-bequeme Häuslein bauen;
10173In allerliebst-geselliger Einsamkeit.
10174Ich sage Fraun; denn, ein für allemal,
10175Denk ich die Schönen im Plural.
∞
Mephistopheles
10177Erräth man wohl wornach du strebtest?
10178Es war gewiß erhaben kühn.
10179Der du dem Mond um so viel näher schwebtest,
10180Dich zog wohl deine Sucht dahin?
∞Faust
10181Mit nichten! Dieser Erdenkreis
10182Gewährt noch Raum zu großen Thaten.
10183Erstaunenswürdiges soll gerathen,
10184Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiß.
∞
Mephistopheles
10189Doch werden sich Poeten finden,
10190Der Nachwelt deinen Glanz zu künden,
10191Durch Thorheit Thorheit zu entzünden.
∞Faust
10192Von allem ist dir nichts gewährt.
10193Was weißt du was der Mensch begehrt?
10194Dein widrig Wesen, bitter, scharf,
10195Was weiß es was der Mensch bedarf.
∞
Mephistopheles
10196Geschehe denn nach deinem Willen!
10197Vertraue mir den Umfang deiner Grillen.
∞Faust
10198Mein Auge war aufs hohe Meer gezogen,
10199Es schwoll empor, sich in sich selbst zu thürmen.
10200Dann ließ es nach und schüttete die Wogen,
10201Des flachen Ufers Breite zu bestürmen.
10202Und das verdroß mich. Wie der Übermuth
10203Den freyen Geist, der alle Rechte schätzt,
10204Durch leidenschaftlich aufgeregtes Blut,
10205Ins Mißbehagen des Gefühls versetzt.
10206Ich hielt’s für Zufall, schärfte meinen Blick,
10207Die Woge stand und rollte dann zurück,
10208Entfernte sich vom stolz erreichten Ziel;
10209Die Stunde kommt, sie wiederholt das Spiel.
∞
Mephistopheles
∞ad Spectatores
10210Da ist für mich nichts Neues zu erfahren,
10211Das kenn ich schon seit hunderttausend Jahren.
∞Faust
∞leidenschaftlich
fortfahrend
10212Sie schleicht heran, an aber tausend Enden
10213Unfruchtbar selbst Unfruchtbarkeit zu spenden,
10214Nun schwillt’s und wächst und rollt und überzieht
10215Der wüsten Strecke widerlich Gebiet.
10216Da herrschet Well auf Welle kraftbegeistet,
10217Zieht sich zurück und es ist nichts
geleistet.
10218Was zur Verzweiflung mich beängstigen könnte,
10219Zwecklose Kraft, unbändiger Elemente!
10220Da wagt mein Geist sich selbst zu überfliegen,
10221Hier möcht’ ich kämpfen, dieß möcht ich besiegen.
10222Und es ist möglich, fluthend wie sie sey,
10223An jedem Hügel schmiegt sie sich vorbey;
10224Sie mag sich noch so übermüthig regen,
10225Geringe Höhe ragt ihr stolz entgegen,
10226Geringe Tiefe zieht sie mächtig an.
10227Da faßt ich schnell im Geiste Plan auf Plan:
10228Erlange dir das köstliche Genießen
10229Das herrische Meer vom Ufer auszuschliessen,
10230Der feuchten Breite Gränzen zu verengen
10231Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen.
10232Schon Schritt für Schritt wusst ich mirs zu erörtern;
10233Das ist mein Wunsch, den wage zu befördern.
∞Trommeln und kriegerische Musick im Rücken der
Zuschauer, aus der Ferne, von der rechten
Seite her
∞
Mephistopheles
10236Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen
10237Zu seinem Vortheil etwas auszuziehen.
10238Man paßt, man merkt auf jedes günstige Nu.
10239Gelegenheit ist da, nun, Fauste
greife zu.
∞
Mephistopheles
10242Auf meinem Zuge blieb mir nicht verborgen
10243Der gute Kaiser schwebt in großen Sorgen,
10244Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten,
10245Ihm falschen Reichthum in die Hände spielten,
10246Da war die ganze Welt ihm feil.
10247Denn jung ward ihm der Thron zu Theil,
10248Und ihm beliebt’ es falsch
zu schliessen:
10249Es könne wohl zusammengehn,
10250Und sey recht wünschenswerth und schön,
10251Regieren und zugleich genießen.
∞Faust
10252Ein großer Irrthum. Wer befehlen soll,
10253Muß im Befehlen Seligkeit empfinden.
10254Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,
10255Doch was er will, es darfs kein Mensch ergründen.
10256Was er den Treusten in das Ohr geraunt,
10257Es ist gethan und alle Welt erstaunt.
10258So wird er stets der Allerhöchste seyn,
10259Der Würdigste –, Genießen macht gemein.
∞
Mephistopheles
10260So ist er nicht! Er selbst genoß und wie?
10261Indeß zerfiel das Reich in Anarchie,
10262Wo Groß und klein sich kreuz und queer befehdeten,
10263Und Brüder sich vertrieben, tödteten.
10264Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt,
10265Zunft gegen Adel – Fehde hat,
10266Der Bischoff mit Capitel und Gemeinde;
10267Was sich nur ansah waren Feinde.
10268In Kirchen Mord und Todtschlag, vor den Thoren
10269Ist jeder Kauf- und Wandersmann verloren.
10270Und allen wuchs die
Kühnheit nicht gering;
10271Denn leben hieß sich wehren – Nun das ging.
∞Faust
10272Es ging, es hinkte, fiel, stand wieder auf;
10273Dann überschlug sich’s, rollte plump zu Hauf.
∞
Mephistopheles
10274Und solchen Zustand durfte niemand schelten,
10275Ein jeder konnte, jeder wollte gelten.
10276Der Kleinste selbst er galt für voll.
10277Doch war’s zuletzt den
Besten allzutoll.
10278Die Tüchtigen sie standen auf mit Kraft
10279Und sagten: Herr ist der uns Ruhe schafft.
10280Der Kaiser kanns nicht,
wills nicht – laßt uns wählen,
10281Den neuen Kaiser neu das Reich beseelen,
10282Indem er jeden sicher stellt,
10283In einer frisch geschaffnen Welt
10284Fried’ und Gerechtigkeit vermählen.
∞
Mephistopheles
10285Pfaffen warens
auch,
10286Sie sicherten den wohlgenährten Bauch.
10287Sie waren mehr als andere betheiligt.
10288Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward geheiligt;
10289Und unser Kaiser, den wir
froh gemacht,
10290Zieht sich hieher, vielleicht zur letzten Schlacht.
∞
Mephistopheles
10292Komm, sehn wir zu, der Lebende soll hoffen.
10293Befreyn wir ihn aus diesem engen Thale!
10294Einmal gerettet ist’s für tausendmale.
10295Wer weiß wie noch die Würfel fallen?
10296Und hat er Glück so hat er auch Vasallen.
∞sie steigen über das Mittelgebirg herüber und beschauen
die Anordnung des Heeres im Thal. Trommeln und Kriegsmusick schallt von
unten auf.
∞
Mephistopheles
10297Die Stellung, seh ich, gut ist sie genommen,
10298Wir treten zu, dann ist der Sieg vollkommen.
∞
Mephistopheles
10301Kriegslist um Schlachten zu gewinnen!
10302Befestige dich bey großen
Sinnen,
10303Indem du deinen Zweck bedenkst.
10304Erhalten wir dem Kaiser Thron und Lande,
10305So kniest du nieder und empfängst
10306Die Lehn von gränzenlosem Strande.
∞
Mephistopheles
10309Nein, du gewinnst sie! dieses mal10309 dieses mal ] 2 IV H.8
diesmal : diesesmal
Ec 2 H
(II aa, VI)
10310Bist du der Obergeneral.
∞
Mephistopheles
10313Laß du den Generalstab sorgen
10314Und der Feldmarschall ist geborgen.
10315Kriegsunrath hab ich längst verspürt,
10316Den Kriegsrath gleich voraus formirt,
10317Aus Urgebirgs Urmenschenkraft;
10318Wohl dem der sie zusammenrafft.
∞Die drey Gewaltigen treten auf
∞Sam. II. 23. 8.
∞
Mephistopheles
10323Da kommen meine Bursche ja!
10324Du siehst, von sehr verschiedenen Jahren,
10325Verschiednem Kleid und Rüstung sind sie da,
10326Du wirst nicht schlecht mit ihnen fahren.
∞Ad Spectatores
10327Es liebt sich jetzt ein jedes Kind
10328Den Harnisch und den Ritterkragen;
10329Und, allegorisch wie die Lumpe sind,
10330
Sie
werden nur um desto mehr behagen.