[ Biedermann-Herwig Nr. 6153: Mitten in dem Entzücken des Autors behielt derselbe Ruhe und Eifer genug, eine schon in Weimar begonnene, durch August Göthe’s und Eckermann’s Zuspruch beförderte Arbeit zu vollenden, ich meine die Anordnung des „Faust“ für die wirkliche Bühne . Ich begnügte mich nicht etwa (wie es später meine Nachfolger auf diesem Felde, Tieck und Göthe selbst nicht ausgenommen, gethan!) zu streichen, sondern ich erfand eine wirkliche theatralische Form, fügte was irgend möglich war in ein Vorspiel und drei Akte zusammen und nahm aus manchen nicht für die Bühne zu rettenden Scenen einzelne Reden und Stellen, ihrer psychologischen Bedeutung wegen, in andere Scenen hinüber. So brachte ich z. B. sämmtliche Auftritte zwischen Faust und Gretchen, vom ersten Worte bis zum Schlaftrunk, den sie der Mutter (sichtbar) reicht, in einen großen – den zweiten – Akt, ohne daß in demselben verwandelt werden durfte, was ich durch eine scenische Vorkehrung von meiner Invention erreichte. Es giebt nichts Abscheulicheres, als das ewige Geklingel und Coulissengeschiebe, wie ich es überall, wo ich den Faust aufführen sah, bei diesen Auftritten gefunden. Ehe noch mein Manuscript in’s Reine geschrieben war, fertigte ich ein vollständiges Scenarium an und schickte dasselbe an Göthe mit dem Bemerken: Sr. Excellenz könne daraus leicht entnehmen, wie ich verfahren. Sei ihm meine Einrichtung genehm, so wollten wir zum 28. August die erste Aufführung 94wagen und auf den Zettel setzen: „Mit Göthe’s Bewilligung so für die Bühne bearbeitet.“ Fast umgehend erhielt ich folgende Antwort von August:
„Theurer Freund! [ Gräf Nr. 1630: Ich habe sogleich Ihren letzten Brief hinsichtlich der Aufführung des Faust meinem Vater vorgelegt. Er ist mit der Idee sowohl, als mit der Art, wie sie ausgeführt werden soll, zufrieden und ist auch der Meinung, daß dem Herrn Musikdirektor Eberwein die Fertigung der Musik übertragen werde. Senden Sie also sobald als möglich das arrangirte Manuscript an mich. Sollte Vater dann noch Etwas wünschen, so schreiben wir einander darüber. ] Entschuldigen Sie die Eil’ dieser Zeilen, ich wollte keinen Augenblick verlieren, Ihnen in einer Sache zu antworten, welche so allgemeines Interesse hat.“ ]
Neuer Jubel der Direktoren, der Schauspieler, des Bearbeiters! Das Nächste, was nun zu thun war, hieß, der General-Intendanz der königl. Schauspiele, welcher, wie schon erwähnt, von einem Monat zum andern unsere Repertoir-Entwürfe eingesendet werden mußten, pflichtschuldige Anzeige von unserm Vorhaben zu machen. Da stand denn zu lesen: „Des weltberufenen Erz- und Schwarz-Künstlers Doktor Faust Paktum mit der Hölle.“ Melodrama in drei Akten und einem Vorspiel, nach Göthe, mit des Dichters Bewilligung so für die Bühne eingerichtet von Holtei. Musik von K. Eberwein.“
Immer in der Mitte des Monats sandten wir unsre Repertoir-Entwürfe ein. Am 15. Juni war dies gesche 95hen, und vom 16. lautet der (vor mir liegende) Protest des Grafen Brühl. „Er sieht mit Befremden, daß ungeachtet“ – – u. s. w. O mein Heiland! Indem ich, diese Zeilen schreibend, auf das Papier blicke, erwacht mir der Nachklang jener Tage! Er protestirt; Faust von Göthe ist eine Tragödie. Tragödieen sind durch Concession der Königstädter Bühne verboten. Er darf nicht zum Nachtheil der königlichen Anstalten nachgeben, daß durch Hinzufügung von Musik und einige sonstige Veränderungen Melodramen daraus gemacht werden. Er hofft auf Zurücknahme unserer Aufzeichnung, da hier nicht, wie bei Lenore, von bloßer Benutzung eines Stoffes, sondern von Einrichtung einer vorhandenen Tragödie die Rede ist! – – Ich setzte mich sogleich an Kunowski’s Tisch, wohin ich zum Empfange der Jammerkunde berufen war, und schrieb dem General-Intendanten Grafen Brühl etc.: – –
„Sehr richtig bemerkten Ew. etc., daß den neuerlich festgestellten Repertoir-Begrenzungsgesetzen zu Folge die oberflächliche Umwandlung eines theatralischen Werkes in ein sogenanntes Melodrama nicht hinreicht, um dasselbe auf die Königstädter Bühne zu bringen.
Das kann auf Göthe’s Faust keine Anwendung finden, der niemals für’s Theater bestimmt war. Daß Er ihn „Tragödie“ nennt, könnte auch zu einem so seltsamen Irrthume keine Veranlassung geben, denn man nennt große Begebenheiten so, und der letzte Krieg in Rußland heißt eine Welttragödie. Wenn ich des Herrn Klingemann’s Faust für die Königstädter 96Bühne melodramatisiren wollte, dann wären Ihre Einsprüche gerecht. Aber daß ich Göthe’s der Bühnenform widersprechendes Gedicht, welches in den meisten Stellen mehr didactisch oder lyrisch, als dramatisch, niemals jedoch theatralisch ist, in ein Melodrama zusammengeschmolzen, dagegen kann, wenn von der hiesigen Darstellung die Rede ist, Niemand Etwas einwenden, als der Dichter. Dieser aber hat seine Einwilligung mündlich und schriftlich gegeben. Sie würde, darin muß ich Ew. etc. vollkommen beistimmen, wenn er mir erlaubt hätte, Egmont, Götz, Clavigo, Tasso etc. zu melodramaiisiren, nicht hinreichen. Denn diese Stücke sind nach bestehenden Theaterformen gemacht, und einmal (im Götz), wo dies nicht der Fall war, hat der Meister späterhin selbst Hand angelegt. Ich fordre Ew. etc. als würdigen, über jeden Zweifel erhabenen Kunstfreund, als allgemein verehrten Ehrenmann auf, mir das Theater zu nennen, welches Faust ohne gänzliche Umschmelzung geben könnte *)*) Freilich hat man es hernach doch gethan! – Ja, was thut man nicht – und was duldet man nicht in Deutschland! , mir den Mann zu nennen, der bis jetzt nur einen bekannten Versuch gemacht hätte, dieses Riesengedicht auf die engen Bretter zu bringen? – – – Wenn diese Arbeit so nahe lag, wenn es eben nur mit ein paar Strichen gethan ist, wenn, woran ich Jahre gesetzt habe, von jedem Anderen mit einigen Musikstücken zu bewerkstelligen war, warum hat denn Niemand vor mir das Näm 97liche unternommen? Giebt mir die Ausführung nicht ein Recht, sie in’s Leben treten zu lassen? Also lieber Herr Graf –“ u. s. w.
Ich darf wiederum nicht vergessen, daß ich den Raum sparen soll, und kann deshalb unsere lange Correspondenz hin und her hier nicht mittheilen. Das Resultat war, daß Graf Brühl bei seinem Protest, qua General-Intendant, verbleiben zu müssen erklärte und unsere Sache an die schiedsrichterliche Entscheidung – das heißt: auf Monate hinaus! – verwies. Sein letztes, privatim an mich gerichtetes (nicht für die Königstädter Direction bestimmtes) Schreiben schloß mit den verlockenden Worten:
„Wie allein diese Sache für den Dichter, für Sie und für mich auf eine gleich ehrenvolle Weise vermittelt werden kann, habe ich jetzt nur den einen Wunsch, daß Sie sich entschließen möchten, unserer Bühne dieses Gedicht zur Aufführung zu überlassen und so dem Dichter die Freude zu machen, außer seinen anderen Werken auch noch seinen Faust dargestellt zu sehen.“
Diesem Rufe zu folgen, wär’ eine Perfidie gegen das Königstädter Theater gewesen. Seine jetzigen Directoren hatten es zwar nicht um mich verdient, daß ich ihrer Anstalt treu blieb. Aber was konnte die Anstalt dafür? Ihr blieb ich treu! Auf schiedsrichterliche Entscheidung provocirend und dabei natürlich die Feier des 28. August aufopfernd, sandte ich die saubere Abschrift nach Weimar.
99Von Breslau begab ich mich nach dem schönen Grafenort. Kaum dort angelangt, empfing ich einen zweiten Brief aus Weimar in der Faust-Angelegenheit.
[ Gräf Nr. 1634: „Lassen Sie mich, mein Werthester, in einer bedeutenden Angelegenheit offen zu Werke gehen. Schon der eingesendete Entwurf ließ befürchten, daß die Redaction des Faust nicht nach Wunsch gelingen möchte. Dieses bestätigt sich leider durch das eingesendete vollständige Exemplar. Wir finden gar manches Bedeutende und Wirksame gestrichen, auch einen Theil des Beibehaltenen so behandelt, daß es unsern Beifall nicht gewinnen kann. Das Manuscript folgt daher zurück, und Sie werden unsere Ansichten aus der Ferne freundlich aufnehmen; Sie haben Ihr Publikum im Auge, und hierauf gründet sich wohl Ihre Redaction, weshalb Ihnen denn auch völlige Freiheit bleibt, nach Ueberzeugung zu handeln; nur läßt mein Vater bemerken, daß unter diesen Umständen weder von seiner Einwilligung, noch von seiner Mitwirkung die Rede sein dürfe. Da Sie meine Gesinnungen kennen, so werden Sie empfinden, daß ich Gegenwärtiges nur ungern schreibe. Doch kann ich hier nicht ausweichen, indem meine Ansicht mit der meines Vaters und Dr. Eckermann’s übereinstimmt. ] Daß ich über andere Dinge hier schweige, entschuldige unsere Trauer über den Verlust unseres allgeliebten Landesvaters. Leben Sie wohl und gedenken Sie unserer freundlichst.“